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Geschichte der SGU

Wie 1964 alles begann

Autor: ALBERT HEINE, 1989

Es begann damit, dass der „KLABAUTERMANN“ umfiel. Er stand auf dem Slipwagen und hatte etwa zwei Tonnen Wasser im Bauch, was für den „KLABAUTERMANN“ damals gar nicht ungewöhnlich war, und das Wasser schwappte beim Aufslippen hin und her. Schließlich riss der Kälberstrick, mit dem man ihn angebunden hatte, und er fiel um. Dabei brach er sich zwei Spanten und eine ganze Reihe von Planken. Das war zuviel, und ich fing an, auf Abhilfe zu sinnen. Wir mussten wieder, wie bisher, unsere Boote selbst überholen können.

Wir waren Segler, wie man sie sich unterschiedlicher eigentlich gar nicht vorstellen kann. Wir hatten nur eins gemein: Wir alle hatten Boote, die bei der Werft im Winterlager standen, aber bisher hatten wir unsere Boote selbst überholen dürfen. Das taten wir, weil wir die Werftkosten nicht aufbringen mochten oder konnten, und außerdem machte uns das Arbeiten an unseren Booten einfach Spaß. Wir kannten uns inzwischen recht gut und fanden, dass wir trotz unserer unterschiedlichen, na ja, heute würde man sagen „Persönlichkeitsstrukturen“ gut zueinander passten. Wir fingen schon im Februar an , an den Booten zu werkeln, wir halfen uns gegenseitig, wir tauschten unsere Erfahrungen aus, wir halfen uns auch mit Werkzeug, wir machten zusammen Brotzeit und fanden, es sei eben einfach schön so.

Klabautermann

Wer waren wir? Eine Reihenfolge wäre fehl am Platze. Wir waren eben wir. Da war Alfred Russell, dessen Boot „ALTE LIEBE“ zwischen dem „KLABAUTERMANN “  und dem Selzam-Schlößchen an seiner Boje lag. Dann war da der „Skipper‘, Oberst Ulbricht, dessen „UNDINE“ ein bisschen weiter in Richtung Dampfersteg ihren Bojenplatz hatte. Der Fritz Braun war da, mit seinem dicken 30er Jollenkreuzer, dem „BACCHUS“. Ernst Klinger und seine „RAMONA“ gehörten dazu, aber auch „die Schulerin“, pardon, Fräulein Schuler, die einen „FLYING JUNIOR“ hatte, und „Wolfi“ Hochsieder, Eigner des Sturgeon Kielbotes „SINDBAD“.

Unsere Welt war heil, bis eines Tages das Gebot ausging, man dürfe nicht mehr selbst an seinem Schiff werkeln. Das verstanden wir noch so eben und fügten uns grollend, aber lieb und recht war es uns allen nicht. Dann fiel, wie schon gesagt, der „KLABAUTERMANN “ um, und das reichte mir. Ich sann auf Abhilfe. Könnte man nicht einen Verein gründen? Könnte man es nicht gemeinsam dazu bringen, daß man wieder wie zuvor selbst an seinem Schiff arbeiten konnte?

Wohin sollten wir mit unseren Booten? War da nicht der Willi Ernst, dessen Familie ein Grundstück am Seeufer hatte, auf dem man die Boote im Winter abstellen könnte? Auf dem man im Sommer sogar eine größere Anzahl von Jollen an Land unterbringen und zum Segeln ins Wasser bringen könnte; dann wäre die Wiese ja wieder frei, die Dickschiffe wären im Wasser. Das Grundstück lag natürlich „meilenweit“ weg, in Richtung Schondorf, direkt neben dem „Hexenhäusl“. Ja, meinte der Willi, da lasse sich schon was machen. Man müsste eben mal über einen Pachtvertrag reden, und das taten wir dann auch.

Was würde die Bayerische Seglervereinigung dazu sagen, deren Steg mit der alten „ANDECHS“ direkt vor dem „Hexenhäusl“ lag? Ich kannte den Präsidenten gut, und der meinte: „Warum nicht? Wir säßen zwar sehr nahe aufeinander, aber wenn Sie der Vorsitzende wären?“ Und der Herr Polzer vom „Hexenhäusl“ meinte trotz der warnenden Worte seiner Frau Gretel, er werde keinen Einspruch erheben. Es könne ja nichts schaden, wenn sich in dieser abgelegenen Ecke einmal etwas rühren würde.

Die Behörden? Ich besuchte die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Jetzt macht sich mein enormer Beamtendienstgrad bezahlt. Der Regierungsdirektor Morgenroth zog die beiden untersten Schubladen aus seinem Schreibtisch heraus, legte kommod seine beiden Beine hinein, zeichnete auf einem Skizzenblock, während ich sprach, aus dem Gedächtnis die Uferszenerie um die „ANDECHS“ herum, eine Schräge für die Jollen, einen kleinen Steg, verschönte alles umweltfreundlich mit Weiden und Büschen und sagte dann: „ja schaun’s, Herr Collega, an Molo können’s dort net bauen, ein Hafen würde nur versanden, aber so, wie ich das gemalt hab‘, könnt’s schon gehen. Und über ein paar Bojen könnte man auch reden, nur müssten die auf den Segel-Club zugelassen werden.“ Uff!

Die Gemeinde? Der Bürgermeister Wolff, ein Mann der SPD, sagte, für Utting sei jede Art von Belebung grad recht. Er sei der Meinung, der Gemeinderat werde dem Projekt seine Zustimmung nicht versagen. Und der Landrat? Herr Müller-Hahl von der CSU, selbst Segler, hörte aufmerksam zu, erkundigte sich, ob er gegebenenfalls sein Boot dort wohl ebenfalls aufslippen könnte und ließ dann durchblicken, dass man auch mit der Genehmigung des Landratsamtes rechnen könne. Großes Doppel-Uff!!!

Der Bayerische Segler-Verband? Dr. Bullmer meinte, die wilden Segler nähmen leider überhand, da könne die Gründung eines Clubs, wie er mir vorschwebe, eigentlich nur günstig wirken. Waren wir wilde Segler? Na so was!? Auch der andere Segler-Nachbar, der Augsburger Segel-Club hatte keine Bedenken. Zwischen beiden Clubs lag ja schließlich der Uferbereich des Dorfes Utting. Da waren Störungen unwahrscheinlich.

Wie gründet man einen Verein? Moment mal, die eigene Behörde hatte doch eine Rechtsabteilung. Da musste doch jemand Bescheid wissen! In der Tat fand sich ein wohlmeinender Kollege. Er verwies auf eine kleine Druckschrift „Wie gründe ich einen Verein?“, gab Mustersatzungen heraus und versprach auch weiterhin behilflich zu sein.

Das klang alles ganz aussichtsreich. Wer von den „Wir!“ würde mitmachen? Wer welchen Posten besetzen? Wer welche Bedingungen stellen? Nun ja, dachte ich, fragste mal, fragen kostet nichts, und schlauer wirste allemal!

Alfred Russell

Alfred Russell sagte sofort „ja!“, er werde sehr gern mitmachen. Im Übrigen habe die MAN in Augsburg eine Lehrlingsabteilung, da könne der erste Takelmeister Alfred Russell bestimmt das eine oder andere bauen lassen. Fritz Braun? Klar, nur dürfe es kein „geleckter Prominenten-Club“ werden. Zu sagen dürfe in dem Club einer nur dann was haben, wenn er selbst ein Boot habe. Es müsse halt ein Schifferlfahrer-Club bleiben. Erich Klinger? Nun ja, er sei eigentlich kein großer Vereinsmeier, aber wenn es kein gar so fürchterlicher Verein würde, ja, dann werde er auch mitmachen. Der „Skipper“? Jawohl, man könne mit ihm rechnen. Auch „Wolfi“ Hochsieder und „die Schulerin“ erklärten, sie würden gern mitmachen, ich solle mal ruhig anfangen.

Was nun? Eine Satzung musste her. Ich zermarterte mir mein Hirn, wie man einen Verein gründen könnte, der kein geleckter Club aus der Feudalära werden, sondern eine Gemeinschaft bleiben würde, wie wir sie uns wünschten. Nach einer ganzen Reihe von Einzelbesprechungen war es dann so weit. Ich lud die Herren und ihre Damen in unsere Wohnung in München ein. Wir rangen um jeden Punkt, auch darum, aus welchem Grunde die Damen als passive Mitglieder willkommen wären und dennoch kein volles Stimmrecht bekommen sollten. Des Skippers Frau gab den Widerspenstigen zu bedenken, wie schön es doch sei, wenn man bei seinem Tode ein Inserat bekomme, in dem es dann heißen würde: „Unser liebes Gründungsmitglied …“

Herr Ulbricht hatte einen Club-Stander entworfen, der allen gut gefiel, aber wir mussten darüber abstimmen, ob die Farben blau-weiß-rot oder schwarz-weiß-rot sein sollten. Wie so oft in der Politik hing es an einer Stimme. Es war schon arg spannend. Schließlich war das Werk vollendet, und unser neues Parkett war von den stahlbewehrten Pfennigabsätzen der Damen punktiert. Sie hatten bei der Hitze der Diskussionen nicht ruhig sitzen bleiben können. Gut, dass es nur eine Mietwohnung war. Es kam schließlich zur Gründungsversammlung der „Segler-Gemeinschaft Utting e.V.“.

Wir bekamen fünf Bojen und einen kleinen Steg genehmigt und durften eine kleine Schräge bauen. Alle gingen mit großem Eifer ans Werk. Die Schräge wurde so lang, daß der erste Protest kam. Wir mußten tatsächlich zehn Meter wieder aus dem See herausbaggern. Als sich herausstellte, daß die Jollen in dem weichen Sand stecken blieben, gelang es, ein paar Flugplatzbleche aus US-Beständen zu beschaffen. Mit „Alle-Mann“ würde die große Fläche über die Schräge in den See getragen.

Alfred Russell ließ bei der MAN eine Ramme bauen, Pfähle und Bretter wurden besorgt, und bald schwamm ein hübscher, kleiner Schwimmsteg vor dem Grundstück. Da er sehr wackelig ausgefallen war, bekam er Ausleger mit Tonnen dran. Die MAN machte es möglich. Wir waren in Betrieb, wir waren eine Segler-Gemeinschaft, und das Seglerleben war wieder schön.

Im Herbst wurde es ernst. Erich Klinger hatte uns das Geheimnis verraten, wie er seine „RAMONA“ ohne Slipanlage mit Hilfe seines Mercedes aus dem Wasser zog. Alfred Russell hatte bei der MAN einen tollen Slipwagen als Lehrlingsaufgabe bauen lassen und dazu auch noch einen fabelhaften Torkran besorgt. Willi Ernst half mit seinem Bulldog. Später konnte Fritz Braun einen „pfennigguten“ LKW beschaffen, den der „saudumme TÜV“ unverständlicherweise nicht mehr zulassen wollte. Die „Dickschiffer“ der SGU schufteten beim Ab- und Aufslippen immer wie ein Mann, alles „pullte an einem Tampen“, oder was man sonst noch so sagen könnte. Es war riesig, wie Fritz Braun meinte.

Sliptermin

Jedenfalls standen schließlich alle Boote an Land, ordentlich auf der Wiese von Willi Ernst aufgereiht. Jeder sorgte für die bestmögliche Winterschutzabdeckung. Der „KLABAUTERMANN“ stand unter einem gewaltigen amerikanischen Mannschaftszelt, das alle „Jumbo“ nannten. Das war sehr schön, denn man konnte, vor dem Wetter geschützt, trocken darunter arbeiten. Aber dann kamen die Winterstürme, und Bernd und ich kämpften oft bis zum Umfallen, um den Jumbo daran zu hindern, einfach davonzufliegen. Im Sommer wurden bei Regenwetter die ersten SGU-Feste im „Jumbo“ gefeiert.

Club-Jurte

Ich werde nie das erste Frühjahr  vergessen. Im Februar war endlich ein warmer, sonniger Föhntag, und wir beschlossen, mit der Arbeit am „KLABAUTERMANN“ anzufangen. Wer beschreibt unser Erstaunen, als wir auf der Wiese ankamen? Alle waren da! Die einen lagen unter den Booten, die anderen hörte man aus dem Bootsinneren heraus, wieder andere saßen einfach selig in der warmen Sonne und stärkten sich mit einer Radlermaß und Würsteln vom Hexenhäusl. Wir hatten uns einen Seglerhimmel auf Erden geschaffen.

Langsam stieg die Mitgliederzahl. Bis auf seltene Ausnahmen wurden alle vom SGU-Gemeinschaftsgeist angesteckt. Und die Ausnahmen stellten meist noch während der Probejahre selbst fest, daß sie nicht so recht in diesen „Club“, der eigentlich gar kein Club war, hineinpaßten.

Auch die Einrichtungen wuchsen auf wunderbare Weise. Natürlich war der Steg bald zu kurz, und natürlich konnte ich als Beamter, der dem Staat die Treue geschworen hatte, nicht illegale Bauten errichten. Fritz Braun fand die Lösung: Der „KLABAUTERMANN“ machte einen langen Tagestörn in die südlichen Buchten des Ammersees. Als ich zurückkam, erschrak ich doch. Da war der Steg, wie es mir schien, halbwegs bis nach Breitbrunn gewachsen. So was aber auch ?! Es gab ein paar erregte Verhandlungen, aber die wundersame Vermehrung der Liegeplätze wurde doch akzeptiert.

Eines Tages kam ein stattlicher Herr zur mir, von dem Karl May geschrieben hätte, dass man ihn schon an seiner aufrechten Haltung den Offizier ansehen konnte. Ob ich der Herr Heine sei? Ja! Ob es stimme, dass die SGU noch Liegeplätze habe? Ja, auch das stimme! Ob er noch Mitglied werden könne? Ja, es gebe eben die Satzungsbestimmung, dass er zwei Probejahre mitmachen müsse, aber unter dieser Bedingung könne er einen Aufnahmeantrag stellen.

Da gebe es noch ein paar Probleme. Welche denn? Ja, er sei Offizier, Major, Staffelkapitän der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck. Na und? Ich sei Korvettenkapitän der Reserve. Oh, das treffe sich ja gut! Aber er habe eigentlich gar kein richtiges Boot, er habe einen Katamaran. Na und? Wir hätten keine Klassenbestimmungen. Solange ein Segler in unsere Gemeinschaft hineinpasse, könne er von uns aus auch eine Badewanne segeln, aber eine gute Lösung sei das bestimmt nicht. Da könnte ein Katamaran schon überlegen sein. Ja, das sei er bestimmt, sagte der Herr. Und schließlich habe er noch eine Frage, er habe noch fünf Kameraden, alle seien Hauptleute und „Düsenjockeys“, flögen „Starfighter“ und segelten auch Katamarane. Ob die … ? Na und?

Katamarane waren damals etwas unerhört Neues. Dr. Bullmer, der Vorsitzende des Bayerischen Seglerverbandes, hatte, als ich vorsorglich fragte, gesagt: „Herr Heine, wir wissen es noch nicht! Handelt es sich um eine Modeerscheinung? Ist das ein Turngerät? Kann man diese Halbirren überhaupt zähmen? Wir haben nur Ärger mit ihnen, denn sie fetzen immer durch unsere Jollenfelder. Natürlich sind sie viel schneller als die Jollen, aber dann stehen sie wieder hilflos mit killenden Segeln im Winde. Kann man damit überhaupt richtig segeln? Wenn Sie sie aufnehmen wollen, bitteschön! Wir werden mit großem Interesse zuschauen!“ So wurde die SGU der erste Club des Deutschen Segler-Verbandes, der Katamaranseglern ein Zuhause bot und für sie Regatten ausrichtete, die auch bei größtem Argwohn aufmerksamer Fachzuschauer keinen Anlass zu Bedenken gaben. Sie hatte es nie zu bereuen. Ich bin stolz darauf, dass die SGU in diesem Jahr die deutsche Meisterschaft der „Tornado“ Klasse ausrichten darf.

Spannend waren die ersten Jahre schon, und als Vorsitzender hatte man manches Kreuzlein zu tragen, manche Extra-Stunde für die Gemeinschaft einzulegen. Es gab erbitterte Auseinandersetzungen mit den Behörden, aber es gab noch viel häufiger schöne Stunden auf der SGU-Wiese. Und die Feste der SGU waren schon bald der Geheimtipp für junge Segler am ganzen Ammersee. Die Mischung zwischen bayerischen Schifferlfahrern und „preußischen“ Seglern erwies sich als unglaublich dauerhaft und positiv. Man kann so weit reisen, wie man will: Eine zweite Segler-Gemeinschaft, wie die in Utting, wird man kaum finden. Sie scheint einmalig zu sein. Es gäbe noch viel aus der ersten Zeit zu erzählen. Mir lag daran, zu berichten, wie es zur Gründung der SGU gekommen ist und wie sie die erste Zeit überstand.

Eines Tages musste ich die Vorstandschaft aufgeben, denn es waren neue berufliche Aufgaben auf mich zugekommen. Es war nicht leicht, einen Nachfolger zu finden, aber inzwischen hat die SGU auch dieses Problem „eingeübt“. Sie hat immer gute Vorsitzende gefunden. Ich wurde, ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr es war, zum Kommodore der SGU ernannt. Auf diesen seltenen Ehrentitel bin ich besonders stolz. Es war eine richtige SGU-Zeremonie, mit etwas Gutem zu Essen und zu Trinken, und der Wiggerl Pollinger hat hinter einem Boot gestanden und mit seiner Jagdflinte dreimal Salut geschossen.

Nun wird die Segler-Gemeinschaft Utting 25 Jahre alt. Es ist schon unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht.

Die Kinder von damals sind selbst Erwachsene geworden, und wenn sie gesunde tatkräftige Menschen wurden, darin lag es vielleicht auch ein bisschen an der SGU.

Ich wünsche der Segler-Gemeinschaft Utting von ganzem Herzen eine gute Zukunft. Möge sie den Zusammenhalt und die Einsatzbereitschaft ihrer Mitglieder auf immer bewahren können! Wenn ihr das gelingt, dann besitzt sie etwas, was heutzutage sehr rar geworden ist, nämlich Gemeinsinn, der wahre Geborgenheit und echte Stärke erst ausmacht.